Histaminintoleranz – wenn der Körper auf Histamin überreagiert
Die Histaminintoleranz (HIT) ist ein häufig diskutiertes Thema in der Ernährungs- und Umweltmedizin. Sie kann eine große Vielfalt unspezifischer Beschwerden verursachen, die von Hautreaktionen und Kopfschmerzen bis hin zu Verdauungsproblemen und Kreislaufstörungen reichen. Echte Histaminintoleranzen sind jedoch deutlich seltener, als häufig vermutet wird, und die Diagnostik ist komplex.
Histamin ist ein körpereigener Botenstoff, der an vier unterschiedlichen Rezeptoren – H1 bis H4 – wirkt. Diese sind im gesamten Organismus verteilt und erklären, warum bei einer Überempfindlichkeit so viele verschiedene Symptome auftreten können. Über den H1-Rezeptor kommt es beispielsweise zu allergieähnlichen Reaktionen mit Juckreiz, Hautrötung und Schwellungen. H2-Rezeptoren steuern unter anderem die Magensäureproduktion und können bei Überaktivität Magenbeschwerden verursachen. Der H3-Rezeptor ist im zentralen Nervensystem aktiv und kann mit Kopfschmerzen, Migräne oder Schlafstörungen in Verbindung stehen, während der H4-Rezeptor eine Rolle bei Immunreaktionen und Entzündungen spielt. Diese Vielfalt an Angriffspunkten erklärt, warum die Histaminintoleranz klinisch so unterschiedlich in Erscheinung treten kann.
Im Körper wird Histamin normalerweise durch die Enzyme Diaminoxidase (DAO) und Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) abgebaut. Ist dieser Abbau verlangsamt oder eingeschränkt, kann sich Histamin ansammeln und Beschwerden hervorrufen. Eine verminderte DAO-Aktivität kann durch Medikamente, Alkohol, hormonelle Einflüsse oder chronische Darmerkrankungen bedingt sein.
Die Diagnostik einer Histaminintoleranz bleibt schwierig. Die Bestimmung der DAO im Blut ist zwar verbreitet, aber kein zuverlässiger Nachweis, da die gemessene Aktivität im Serum nicht unbedingt die tatsächliche Situation im Darm widerspiegelt, wo der wichtigste Abbau stattfindet. Auch der Zeitpunkt der Probenentnahme spielt eine entscheidende Rolle. Untersuchungen sollten an Tagen erfolgen, an denen Beschwerden bestehen, da sich nur dann erhöhte Histaminwerte oder eine eingeschränkte Enzymaktivität zeigen können. Messungen an beschwerdefreien Tagen fallen häufig unauffällig aus und führen zu Fehleinschätzungen.
Weitere Laborparameter, wie Histamin oder Methylhistamin im 24-Stunden-Sammelurin, können zwar zusätzliche Hinweise liefern, sind jedoch unspezifisch. Letztlich bleibt die diätetische Diagnostik der entscheidende Schritt. Eine histaminarme Ernährungsphase über einige Wochen mit anschließender gezielter Wiedereinführung histaminreicher Lebensmittel kann zeigen, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der Histaminaufnahme besteht. Dabei ist es wichtig, die Re-Exposition bewusst und kontrolliert vorzunehmen, um Placebo- oder Noceboeffekte zu vermeiden. Nur wenn sich die Symptome unter histaminarmer Kost eindeutig bessern und nach dem erneuten Verzehr typischer Auslöser wieder auftreten, gilt die Diagnose als wahrscheinlich.
DAO-Kapseln oder Nahrungsergänzungsmittel, die den Abbau von Histamin unterstützen sollen, sind zwar weit verbreitet, ihr Nutzen ist wissenschaftlich jedoch nicht überzeugend belegt. Häufig spielt der Placeboeffekt eine Rolle, während eine konsequente Ernährungsanpassung langfristig deutlich wirkungsvoller ist.
Frauen sind von Histaminintoleranzen deutlich häufiger betroffen als Männer. Möglicherweise hängt dies mit hormonellen Schwankungen zusammen, da Östrogene sowohl die Histaminfreisetzung als auch die Aktivität der DAO beeinflussen können. Denkbar ist aber auch, dass Frauen aufgrund einer stärkeren Gesundheitsorientierung häufiger nach Ursachen für unspezifische Beschwerden suchen und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
Insgesamt bleibt die Histaminintoleranz eine klinische Diagnose, die Geduld, Erfahrung und eine sorgfältige Beobachtung erfordert. Kein Laborwert allein kann die Erkrankung bestätigen oder ausschließen. Eine strukturierte Ernährungsanamnese, die genaue Erfassung der Symptome und die Beobachtung ihrer Veränderung unter diätetischen Maßnahmen sind entscheidend. Histaminintoleranz ist eine reale, aber seltene Störung, die immer im Kontext der individuellen Lebensumstände und Begleiterkrankungen betrachtet werden sollte.
